Wie man schlagfertig und charmant mit Störungen umgeht (von Ralf Schmitt)

Eine geöffnete Tür in die Freiheit

„Ich liebe Störungen“ oder „Störungen – Ja bitte!“

Fast jeder, der mit einer Rede, einem Vortrag oder einer Präsentation auftritt, hat Angst vor Störungen. Doch jede Unterbrechung des geplanten Verlaufes birgt auch immer die Chance für Interaktionen mit dem Publikum und damit gleichzeitig eine charmante Möglichkeit zur Individualisierung des eigenen Auftrittes.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit provozierten und unprovozierten Reaktionen und möchte Ihnen zeigen, wie man Störungen willkommen heißt, da sich aus ihnen oft eine sehr individuelle Situation improvisieren lässt. Die Techniken, die ich als Moderator und Keynotespeaker auf der Bühne anwende, werden anhand von Anekdoten erklärt und mit Hilfe verschiedener Tipps trainiert. Am Ende stehen einfach anwendbare Lösungsblöcke, die Sie auf Präsentations- oder Verkaufssituationen anpassen können.

Total spontan – Ich liebe Störungen

Ich stehe auf der Bühne. Alles ist perfekt vorbereitet und das Publikum hängt an meinen Lippen. Ich bin witzig, charmant und auch ein bisschen sexy. Meine Powerpointpräsentation funktioniert und die Zuschauer lachen an den richtigen Stellen. Doch dann passiert es auf einmal: eine Störung, ein Zwischenfall, mit dem niemand rechnen konnte. Einer meiner Zuhörer reagiert nicht so, wie in meinem Kopf vorgesehen. Er wirft meinen Plan über den Haufen und versucht mich, den Präsentationsgott aus dem Konzept zu bringen. Er stellt eine Zwischenfrage, kommt zu spät, geht zu früh, telefoniert, redet mit seinem Nachbarn, knutscht oder benimmt sich einfach nicht so, wie er soll. Das ist ein Gau, ein Supergau, ein Gau-Gau, wie man in der Speaker-Szene zu sagen pflegt.

Ich liebe Störungen oder Unterbrechungen! Für mich sind genau sie das Salz in der Suppe einer guten Präsentation. Denn sie eröffnen mir ungeahnte Möglichkeiten zur Interaktion mit meinem Publikum.

Stellt sich nur die Frage, wie ich aus dieser Situation jetzt wieder herauskomme. Alle im Raum schauen mich an. Sie erwarten einen guten Konter, einen Satz, der sitzt und danach herrscht Ruhe im Karton.

Echte Störung oder nur Nebensache?

Die erste Frage, die ich mir bei jeder “vermeintlichen” Störung stelle, ist immer: Handelt es sich um eine echte Störung oder stört sie nur mich? Denn 95 % aller Störungen sind keine bühnenrelevanten Beeinträchtigungen. Oft bekommt das Publikum überhaupt nichts davon mit.

Ich habe einmal ein Event für einen großen Energieanbieter moderiert. Ungefähr 1000 Gäste saßen im Publikum und meine Auftaktmoderation dauerte circa 45 Minuten. Es lief gut. Die Stimmung war gelöst. Ich hatte den Laden im Griff, wie man so schön sagt.

Nur ganz vorne links quatschten unaufhörlich zwei Männer miteinander – von meiner Anmoderation bis zu meiner ersten Pause. Ich hatte sie immer aus dem Augenwinkel im Blick, schaute sie aber nie direkt an. Die Situation nervte mich kolossal und ich musste große Teile meines Moderationsarbeitsspeichers darauf verwenden, die beiden Herren zu ignorieren. Keinen der anderen 1000 Gäste im Raum schienen sie aber zu stören.

Während ich weiter moderierte, ging ich in meinem Kopf alle möglichen Optionen durch, um diese Störung für mich zielorientiert zu lösen. Spreche ich die Situation direkt an? Schaue ich die beiden an, gebe ihnen einen Fokus und schweige? Kommentiere ich die Situation? Ignoriere ich die Störung einfach? Da die beiden niemanden außer mir zu stören schienen, entschied ich mich für die letzte Option. Ich ignorierte sie bis zu meiner ersten längeren Unterbrechung.

In dieser Pause stürmte ich genervt in den Backstage-Bereich und traf meine damalige Produktionsleiterin, die mich freudestrahlend empfing und meinte: „Läuft doch super bis jetzt”. Ich guckte Sie mit großen Augen an und berichtete leicht angestrengt von den zwei Störern aus der ersten Reihe. Meine Produktionsleiterin blickte mich nur an und sagte: „Oh Ralf, das tut mir leid. Wir haben vergessen, dir zu sagen, dass der Geschäftsführer aus England mit seinem Dolmetscher in der ersten Reihe sitzt. Er übersetzt einfach nur alles, was du sagst.“. Die vermeintliche Störung löste sich also sofort in Luft auf und ich konnte die Moderation entspannt fortsetzen. Meine Moderationsfestplatte war wieder frei für echte Störungen.

Dieses Erlebnis wurde für mich zu einem Schlüsselerlebnis in Bezug auf Störungen. Denn seither stelle ich mir zunächst die Frage, ob diese Störung nur mich stört. Wenn es dem Publikum gar nicht auffällt, dass jemand zu spät kommt oder kurz mit seinem Nachbarn redet, dann hat es mich auch nicht zu stören. Dann registriere ich die Ablenkung zwar, ignoriere sie aber.

Analyse einer Störung

Ich verwende vier verschiedene Methoden, um auf eine Störung zu reagieren. Bei zweien reagieren Sie passiv und bei den anderen beiden gehen Sie in die aktive Reaktion. Starten wir zunächst mit den passiven Methoden.

1. Ignorieren der Störung

Ich habe Ihnen bereits ein Bespiel für das Ignorieren genannt. Die wichtigste Regel beim Ignorieren lautet: Stört das Ereignis nur mich, dann ignorieren, stört es auch andere, dann reagieren.

2. Anerkennen der Störung

Gehen wir einmal von dem Fall aus, dass Gäste zur Ihrer Präsentation zu spät kommen oder früher gehen müssen. Dann sollten Sie diese Störung tolerieren. Tolerieren bedeutet hier: Ich finde diese Störung zwar nicht toll, das steckt ja bereits im Wort, rege mich aber auch nicht darüber auf. Ich kommentiere sie regungslos.

Einen Fall einer offensichtlichen Störung habe ich einmal bei einer Moderation für eine große IT-Firma erlebt. Der amerikanische CEO hielt gerade eine Rede vor über 700 Kunden, als auf einmal im kompletten Saal das Licht anging. Der CEO machte ungerührt weiter. Als nach einer Minute immer noch die ganze Location hell erleuchtet war, kommentierte er das folgendermaßen: “Is someone leaning at the switch panel?”, sinngemäß übersetzt: „Lehnt jemand an den Lichtschaltern?“ Das Ergebnis: großes Gelächter im ganzen Saal. Was hatte der schlagfertige amerikanische CEO gemacht? Er tolerierte die Situation und kommentierte, ohne jemanden dabei persönlich anzugreifen.

Kommen wir nun zu den aktiven Störungen, auf die ich reagieren kann oder möchte. Es gibt Störungen, die unmöglich zu ignorieren sind, oder Störungen, die perfekt ins Programm passen, die man integriert oder bei denen man in die Konfrontation geht. Wieder gibt es zwei Möglichkeiten: Integrieren oder Konfrontieren.

3. Einbinden der Störung

Wichtig vorab: Ich halte das Verbinden oder Integrieren gegenüber dem Konfrontieren für die deutlich bessere Variante. In die Konfrontation würde ich nur bei einer massiven negativen Störung gehen. Dazu ein paar Tipps aus der Sicht eines TV-Warm-Uppers und Comedian.

Zwischen 2003 und 2008 habe ich so genannte Warm-ups für das Fernsehen gemacht. Meine Aufgabe als Warm-Upper war es zum einen, die Studiogäste auf Betriebstemperatur zu bringen, und zum anderen, bei Zwischenfällen und technischen Pannen – es gab viele Zwischenfälle und technische Pannen – weiterhin für gute Stimmung zu sorgen. Ich hatte immer ein klares Konzept, doch es kam jedes Mal anders. Bei meiner Reaktion hielt ich mich dabei immer an den Satz der Psychologin Ruth Cohn: „Jeder Plan muss falsch sein, da nie alle Faktoren bekannt sein können.“

Genauso kann es uns ergehen, wenn wir präsentieren, Vorträge halten oder auf der Bühne stehen. Wir malen uns aus, wie es klappen könnte. Wir planen. Aber es läuft manchmal eben doch anders. Für so einen Fall habe ich Ihnen ein paar Grundregeln oder Erfahrungen aus meiner Zeit als Warm-Upper aufgeschrieben.

Bei Sendungen, die aufgezeichnet wurden, gab es oft Abbrüche, d. h. die Sendung wurde aus verschiedenen Gründen gestoppt. In so einem Augenblick verließen meist der Moderator und die Gäste das Aufnahmestudio, die Kameraleute und Techniker stellten ihren Dienst ein und ich musste für das Publikum überbrücken. Oft wusste ich nicht, wie lange die Unterbrechung dauerte. Das konnten drei oder auch 45 Minuten sein. Meine Aufgabe war es dann, das Publikum bei Laune zu halten, die vermeintliche Störung zu erklären und mögliche negative Stimmungen aufzufangen.

Erinnern Sie sich an den Torfall von Madrid? 1998 beim Champions League Spiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund fiel eine Minute vor Anpfiff ein Tor um. Marcel Reif und Günther Jauch waren die Kommentatoren der Übertragung und mussten, ähnlich wie beim Warm-up, einen unbestimmten Zeitraum überbrücken. Der unbestimmte Zeitraum dauerte am Ende 76 Minuten. Marcel Reif stellte später in einem Interview fest: „Günther Jauch rettete mich vor dem medialen Selbstmord.“ Später war es ein Abend voller Anarchie. Denn normalerweise sind Champions League Spiele genauso perfekt durchgeplant wie Ihre Präsentationen.

Der innere Monolog

Hier ein paar Tipps, um Sie vor dem medialen Selbstmord oder dem Freitod auf der Bühne zu retten. Schließlich haben Sie eher selten bei Präsentationen einen so schlagfertigen Kollegen wie Günther Jauch an Ihrer Seite.

Der innere Monolog ist eine Grundtechnik, mit der ich immer gearbeitet habe. Ich beschrieb genau, was im Augenblick geschieht. Wenn zum Beispiel eine durchgebrannte Studiolampe repariert werden musste, begann ich, einen inneren Monolog über die Situation zu führen, inklusive eines Stimmungsbilds. Natürlich hielt ich diesen Monolog laut, so als ob ich Selbstgespräche führte. Ich beschrieb alles genau, wie bei einem Gemälde. Wie die Techniker kommen und sich fühlen, wie sich die durchgebrannte Lampe jetzt fühlt …  Dabei ließ ich mich von meinen Gefühlen in dieser konkreten Situation und von meinen Assoziationen treiben. Meistens kam es dann ziemlich schnell zu Lachern im Publikum. Mit diesen Reaktionen konnte ich dann sofort weiterarbeiten.

Für die Bühne, für Ihre Präsentationssituation, wenn zum Beispiel der Beamer ausfällt, ist mein Tipp: Betrachten Sie sich aus der Vogelperspektive und beschreiben Sie die Situation, wie sie sich gerade fühlen. Sie sind jetzt der Loser. Alles so toll geplant und dann funktioniert der Beamer nicht. Versetzen Sie sich in die Rolle eines Zuschauers und wenn Sie es ganz abgefahren mögen, versetzen Sie sich in die Rolle des Beamers. Fragen Sie sich, wie geht es dem Beamer wohl gerade? „Ich kann die Lampe verstehen, dass sie ihren Geist aufgibt. So toll ist meine Präsentation wirklich nicht …“ Beschreiben Sie die Störung aus Ihrer Perspektive. Das nennt sich Perspektivwechsel und bringt viel Lachen und Spaß in Ihre Präsentation. Und die Zuschauer merken, wie spontan Sie sind.

→ Der Tipp des Warm-uppers heißt also: Integrieren Sie die Störung mit Hilfe eines inneren Monologs.

Storytelling

Impro-Spieler können alles, außer Text lernen. Deshalb gehen sie folgendermaßen mit Störungen um: Es gibt eine Übung, die ich manchmal bei Storytelling-Workshops mit meinen Teilnehmern mache. Sie stehen vorne am Bühnenrand und bewegen sich, während sie eine improvisierte Geschichte erzählen, nach hinten. Auf dem Boden liegen verschiedene Gegenstände. Die Aufgabe lautet, die auf dem Boden liegende Gegenstände in die Geschichte zu integrieren. Wenn ich diese Übung erkläre, ist die typische Reaktion: „Das kann ich nicht, improvisieren und dann auch noch unerwartete Begriffe einbauen.“ Sobald meine Teilnehmer es dann ausprobieren, flutscht es und sie ernten viel Applaus und Gelächter im Publikum. Die Leute sind begeistert darüber, wie kreativ die Spieler doch die verschiedenen vorgegebenen Wörter in die Geschichte einbauen.

Ein typischer „Impro-Zwischenfall“ wäre ein aufgedrehtes Publikum, das auch während der Szenen weiterhin Vorschläge dazwischenruft. Ich baue diese Vorschläge sofort in die Szene ein. Wenn das dann doch einmal zu anstrengend wird, dann kommentiere ich mit dem Satz: „Heute höre ich permanent Stimmen in meinem Kopf.“. Die typische Reaktion darauf ist Lachen und danach herrscht meist Ruhe.

→ Der Tipp des Impro-Spielers laute also: Integrieren Sie die Störung, in dem Sie sie aktiv in Ihre Präsentation oder Gesprächsführung einbauen.

Einen letzten Tipp habe ich an dieser Stelle noch für Sie: Probieren Sie einfach alles einmal aus – sagen Sie „Ja bitte“ zu ungewollten Störungen und nutzen diese, um sich Ihrem Kunden individuell und spontan zu präsentieren. Denken Sie dabei an John Lennon, denn  “Life is what happens to you while you are busy making other plans”. Lassen Sie Sie sich nicht von vermeintlichen Störungen aus dem Konzept bringen, sondern machen daraus vielleicht sogar einen charmanten Twist, der Sie bei dem Kunden positiv in Erinnerung bleiben lässt.

Beitragsbild: psdesign1 – stock.adobe.com


Seit gut 15 Jahren arbeitet Ralf Schmitt als Moderator, Trainer und Keynote-Speaker. Dabei begeistert er sein Publikum jedes Mal vor allem mit einer ausgewogenen Mischung aus fachlicher Kompetenz und feinem Humor. Die Besonderheit seiner Auftritte liegt in der Interaktion mit dem Publikum – sowohl bei der Keynote als auch bei der Moderation. Da er diese beiden Tätigkeiten auch sehr gerne verbindet, ist er eigentlich ein „KeyMode-Speaker“. In seinen Vorträgen gibt er seinem Publikum ein „Mindset für eine flexible Zukunft“ an die Hand. Denn Flexibilität und Spontaneität liegen dem Bühnenprofi, dessen Wurzeln im Impro-Theater liegen, im Blut. Er ist Geschäftsführer der Impulspiloten GmbH und berät gemeinsam mit seinem Team seine Kunden in Sachen Veranstaltungsdramaturgie und Bühnenprogramm.

Ralf Schmitt ist Autor der Bücher „Ich bin total spontan, wenn man mir rechtzeitig Bescheid gibt“ und „ Ich bin total beliebt, es weiß nur keiner“ und er ist Vorstandsmitglied der German Speakers Association.

www.schmittralf.de | www.impulspiloten.de

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